mattig
Interviews

Finanzplatz Schweiz: Singapur und Hongkong kommen!

Dr. Andreas Mattig ist Mitgründer und Partner des Beratungsunternehmens IBEF (International Banking and Education Forum), einem Spin-off der Universität St. Gallen (HSG). Das Beratungsunternehmen IBEF hat den asiatischen Markt der unabhängigen Vermögensverwaltung im Rahmen einer qualitativen Umfrage bei 55 Experten von Privatbanken, Family Offices, unabhängigen Vermögensverwaltern sowie bei Vermögensverwaltungskunden analysiert.

Die dominanten asiatischen Märkte für unabhängige Vermögensverwalter sind in Hongkong und Singapur zu finden. Worin unterscheiden sich die Wealth-Management-Märkte der beiden Stadtstaaten strukturell?

Andreas Mattig: Hongkong und Singapur werden zwar oft gemeinsam genannt, sobald man an asiatische Finanzplätze denkt. Zwischen den Standorten bestehen allerdings zahlreiche Unterschiede hinsichtlich Regulierung, Tradition und Geschäftsmodell.

Betrachtet man zuerst einmal das Regulierungsumfeld, so zeigt sich, dass an beiden Standorten das Pendel regelmässig zwischen aktiver Geschäftsentwicklung und einer starken Kontrolle insbesondere der Kundenberatung über die Jahre hin- und herschwingt. Zurzeit ist insbesondere Singapur aktiv darum bemüht, die Eintrittsschwellen zu erhöhen und die Qualität der Dienstleistungen weiter zu sichern.

«Unversteuerte Gelder in Singapur nicht willkommen»

Dies ist in erster Linie der aktuellen Steuerdebatte geschuldet. Gerade Singapur versucht in diesem Zusammenhang zu vermeiden, dass der Standort Gelder mit «Altlasten» aus Europa anzieht und damit mittelfristig in die Schusslinie gerät. Als Konsequenz dieser Regulierung und der damit verbundenen Fixkosten sind denn auch die Vermögensverwaltungsfirmen in Singapur durchschnittlich eher grösser als in Hongkong.

Der zweite wichtige Unterschied erklärt sich mit dem traditionellen strategischen Fokus. Während Hongkong gemeinhin als das «Tor zu China» gilt, hat sich Singapur eher auf die Nachbarmärkte Südostasiens sowie teilweise auf Indien ausgerichtet. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass beide Standorte mittlerweile auch über einen bedeutenden lokalen Vermögensverwaltungsmarkt verfügen.

«Hongkong im Research und Handel stark, Singapur im Private Banking»

Ein zentraler struktureller Unterschied liegt drittens in der Positionierung. In Hongkong haben sich zahlreiche Research-Häuser angesiedelt. Auch das Transaktionsgeschäft spielt eine wichtige Rolle. Singapur etabliert sich dagegen immer mehr als Private-Banking-Hub. Dazu gehören auch ergänzende Dienstleistungen für vermögende Familien, insbesondere im Bereich der Erziehung und Ausbildung.

Gemäss Ihren Recherchen werden nur 5 bis 8 Prozent der asiatischen Vermögen im Rahmen einer diskretionären Vermögensverwaltung betreut. Wie ist der im Vergleich zu Europa tiefe Prozentsatz zu erklären?

Grundsätzlich besteht das Private Banking in Asien viel mehr aus Handelstätigkeit als aus direkter Verwaltung von Vermögenswerten. Über die Hintergründe ist schon oft diskutiert worden. Am häufigsten wird dabei angeführt, dass dieses Phänomen einer stärker unternehmerisch geprägten Kultur zuzuschreiben sei. Die meisten Vermögenden in Asien haben ja nicht geerbt, sondern sich ihren Wohlstand selber aufgebaut.

Parallel spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle, so zum Beispiel eine eher patriarchale Führungsstruktur in den grossen vermögenden Familien sowie ein starkes Kostenbewusstsein. Für einen bedeutenden Teil der Kundschaft ist denn auch schlicht der fehlende Mehrwert eines diskretionären Vermögensverwaltungsmandates ausschlaggebend.

Wie lassen sich die asiatischen im Gegensatz zu westlichen Vermögenden charakterisieren? Welches sind die strukturellen und kulturellen Hauptunterschiede?

Angesichts der Grösse und Unterschiedlichkeit des Marktes ist es nicht möglich, undifferenziert von «asiatischen Vermögenden» zu sprechen. Die kulturellen Unterschiede zwischen Koreanern, Taiwanesen oder Indonesiern sind um ein Vielfaches grösser als etwa zwischen Schweden und Spaniern.

Versucht man aber trotzdem einige strukturelle Unterschiede auszumachen, so sind diese wohl am ehesten in der Art des Vermögensaufbaus und der Demografie zu finden. Die Kunden in den asiatischen Märkten sind oftmals Unternehmer, die in einer relativ kurzen Zeit grosse realwirtschaftliche Vermögenswerte aufbauen konnten.

«Asiatische Vermögende sind häufig Unternehmer»

Bezüglich der Einzelanlagen einer Vermögensverwaltung bestehen daher oftmals sehr hohe Ertragserwartungen. Dabei erfüllen Vermögensverwaltungsdienstleistungen aber – im Unterschied zu Europa – auch eher eine Rolle als Parkmöglichkeit für Liquidität aus den Familienfirmen oder direkt als Vehikel zur Schaffung von Liquidität.

Der zweite grosse strukturelle Unterschied ist in der Demografie in der Region zu finden. Die Ausbildung sowie ein aktives Einbinden der nächsten Generation in die Familienfirmen sind zentral. Das fordert von Vermögensverwaltern Funktionen und Rollen, die sie in Europa in der Regel schon seit längerem nicht mehr wahrnehmen.

Welchen Besonderheiten haben Vermögensverwalter im Umgang mit der asiatischen Kundschaft zu berücksichtigen?

Ein Schweizer Vermögensverwalter muss nicht zum Malaysier oder Singapurer werden, sondern solide und über lange Zeit qualitativ hochstehende Dienstleistungen erbringen. Die Analogie zum Uhrenmarkt liegt nahe: Schweizer Dienstleistungen sind aus asiatischer Sicht sehr teuer und können lokal zu viel attraktiveren Preisen eingekauft werden. Der Entscheid für die Schweizer Lösung fällt auf der Basis von gelebten Kriterien wie Verlässlichkeit über lange Zeiträume hinweg, Perfektion und Korrektheit sowie nicht zuletzt auch dank starken Marken.

Sind westliche Vermögensverwalter nicht mit den fremden kulturellen Gegebenheiten der asiatischen Kundschaft überfordert?

Die asiatische Kundschaft, die für Vermögensverwalter interessant ist, lässt sich grundsätzlich in zwei Hauptgruppen teilen: Die erste und bedeutendere Gruppe will von Mitarbeitern beraten werden, die ihre Kultur verstehen. Diese ziehen in aller Regel lokale asiatische Berater vor. Marke und Angebot stehen dabei im Vordergrund.

Daneben suchen die asiatischen Kunden europäischer Institutionen nicht in erster Linie Berater, die ihre Kultur verstehen. Hier gilt es für europäische Berater, mit den klassischen westeuropäischen Werten zu punkten. Gesucht wird eine langfristige Vermögensplanung mit einer langfristigen Kundenbeziehung.

Immer mehr westliche Privatbanken und Vermögensverwalter versuchen in den asiatischen Märkten Fuss zu fassen. Welche Eintrittsstrategien empfehlen Sie den Neulingen?

Es zeigt sich, dass gerade viele kleinere Privatbanken und Vermögensverwalter ihren Markteintritt nach dem gleichen Muster bestreiten: Dem so genannten Representation Office folgt eine Tochtergesellschaft mit lokalem Booking Center für bereits bestehende Kundenbeziehungen. Erst in einem dritten Schritt wird versucht, neue lokale Kundenbeziehungen aufzubauen. Nicht immer gelingt es aber, lokales Wachstum zu generieren. Einige Anbieter scheitern sicherlich auch an den kulturellen Unterschieden.

«Erfolgsstrategie: Fokussierung auf Nischenmärkte»

Gerade auch für kleinere Vermögensverwalter ist die Fokussierung auf klare Nischenmärkte sicher eine erfolgsversprechende Strategie. So besteht die Möglichkeit einer Spezialisierung auf bestimmte ethnische Gruppen, die für grössere Banken aufgrund der regulatorischen Kosten uninteressant sind.

Daneben bietet es sich auf der Kostenseite an, sich an existierenden Plattformlösungen zu beteiligen und die gerade in Singapur hohen Fixkosten zu reduzieren. Für den langfristigen Erfolg ist es aber auch entscheidend, lokale Kundenbetreuer einzustellen und das eigene Kundenportfolio zu diversifizieren. Viele Anbieter schaffen dies nicht und bleiben in der eigenen Entwicklung stehen.

Banken oder unabhängige Vermögensverwalter oder Family Offices: Welchem Modell räumen Sie im asiatischen Wealth Management die grössten Chancen ein?

Alle drei Geschäftsmodelle verfügen schon aufgrund der schieren Grösse des asiatischen Wealth-Management-Marktes ihre Daseinsberechtigung. Das klassische Privat Banking konnte sich klar etablieren und verzeichnete gerade in den letzten Jahren ein enormes Wachstum. Auch getrieben von Neugeldzufluss aus der Alten Welt ist das absolute Volumen für Banken sehr attraktiv. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass auch in Asien ein starker Margendruck besteht und Kunden kritisch Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen.

Von diesem Spannungsfeld können gerade unabhängige Vermögensverwalter profitieren. Ihnen gelingt es interessanterweise öfters über das Argument der Kosteneffizienz – etwa aufgrund ihrer Verhandlungsmacht gegenüber Banken oder dem Benchmarking von Produktkosten zu überzeugen. Die Unabhängigkeit von den Banken spielt dagegen eine geringere Rolle.

«Asiatische Family Offices: Nachfolgeplanung im Vordergrund»

Single Family Offices haben den klaren Vorteil, dass sich die Frage nach der Kundenakquise nicht stellt. Diese kann im lokalen Geschäft sehr herausfordernd sein. Bei Multi Family Offices liegt der interessante Markt vor allem im Bereich der Nachfolgeplanung im weitesten Sinne. Der anstehende Vermögensübergang innerhalb der Familien von der ersten auf die zweite oder von der zweiten auf die dritte Generation ist ein grosser Treiber der Nachfrage. Daneben profitieren Multi Family Offices überproportional von einer Reallokation europäischer und amerikanischer Vermögen nach Hongkong und Singapur.

Im Rahmen einer Neudefinition des Schweizer Bankkundengeheimnisses wird immer wieder die drohende Verlagerung von Offshore-Kundengeldern nach Singapur genannt. Wie real ist diese Gefahr für den Schweizer Vermögensverwaltungsmarkt einzuschätzen?

Tatsächlich spricht immer mehr für Singapur als Standort für die Vermögensverwaltung. Aus Schweizer Sicht gibt es keinen Anlass, sich auf den Lorbeeren auszuruhen oder sich noch im Vorsprung zu wähnen. Die Qualität der Dienstleistungen ist in Singapur über Jahre konsequent gefördert und die Ausbildung professionalisiert worden. Der Markt verfügt über eine sehr aktive Regulierungsbehörde, die sich aber gleichzeitig stark in der Standort- und Branchenförderung engagiert. Deshalb sind nicht nur sind die meisten grossen Privatbanken vor Ort vertreten, sondern auch neue asiatische Privatbanken und Vermögensverwalter entstanden.

«Singapur ist ernsthafte Konkurrenz zur Schweiz»

Die Gefahr droht denn auch nicht primär aus der Verlagerung von unversteuerten Geldern. Hier versucht Singapur im Gegenteil Gegensteuer zu geben, um nicht als Fluchtburg in Verruf zu geraten. Die Herausforderung ist vielmehr die starke Qualitäts- und Leistungsbereitschaft der Anbieter vor Ort, die ihre Wettbewerbsfähigkeit stetig verbessern.

Welches waren die überraschendsten Erkenntnisse Ihrer Analyse?

Am meisten überrascht hat mich die Tatsache, dass die unabhängige Vermögensverwaltung in hohem Mass von europäischen und amerikanischen Anbietern dominiert wird. Ein lokaler Markt von unabhängigen asiatischen Vermögensverwaltern existiert noch kaum.

19. Juni 2012

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