Als Anhänger der Theorie effizienter Märkte sind diese für Sie nicht zu schlagen. Wie erklären Sie den Erfolg einzelner aktiver Investoren: Waren Legenden wie Warren Buffett, Ralph Wanger oder Michael Steinhardt zufällig erfolgreich?
Reiner Eichenberger: Zufall spielt eine wichtige Rolle. Bei rein zufälligen Kursentwicklungen und Anlageerfolgen schlagen 50 Prozent der Anleger den Markt in einem Jahr, 25 Prozent schlagen ihn in zwei Jahren hintereinander, und 12,5 Prozent in drei Jahren, und etwa jeder tausendste Anleger schlägt den Markt 10 Jahre hintereinander.
Zum Zufall kommen aber zwei weitere Komponenten: Anfänglich zufällig erfolgreiche charismatische Anleger können eine gewisse Leitfunktion für andere Anleger einnehmen. Dann werden ihre öffentlich kommunizierten Entscheide und Erwartungen wenigstens für eine gewisse Zeit zur selbsterfüllenden Prognose. Zudem sind bekannte Investoren sehr gut vernetzt und gefährlich nahe zu Insiderwissen.
Aber natürlich würde ich niemals bestreiten, dass es nicht doch einige wenige begnadete Menschen gibt, die die Märkte systematisch schlagen. Das Problem als Normalanleger ist dann, herauszufinden, welcher Anlageguru wirklich den Markt schlägt und welcher eher ein Scharlatan oder gar ein Madoff ist.
Auch ein passiver Anleger kommt nicht umhin, einzelne Märkte aus einer Vielzahl globaler Märkte und anhand spezifischer Anlageinstrumente aktiv auszuwählen. Rein passive Anlagestrategien scheinen sich als eine Illusion zu entpuppen: Das Problem der Auswahl einzelner Anlagewerte verschiebt sich einfach auf die nächst höhere Ebene der Auswahl der Märkte und Anlageklassen.
Ich sehe die Implikationen der Markteffizienz-These auch auf Länder- und Branchen-Ebene. Welche Länder und Branchen bessere Anlagemöglichkeiten bieten, kann nicht systematisch vorausgesagt werden, weil die zukünftigen Erträge auch auf Länderebene schon in den heutigen Kursen antizipiert werden. Dadurch werden die Berater aber zu ihrem Glück keinesfalls überflüssig. Allerdings verlagert sich ihre Aufgabe weitgehend vom «aufregenden» Stockpicking zur weniger aufregenden angemessenen Risikodiversifizierung und -balancierung.
Gemäss Ihren Aussagen im Rahmen des Notenstein-Gesprächs vom Juni 2012 bieten Aktien von gut geführten Firmen mit hohen Gewinnerwartungen keine besseren Renditen als Aktien von schlecht geführten Firmen mit tiefen Gewinnerwartungen. Wertorientierte Anleger würden die Stirne runzeln. Was antworten Sie Anhängern der Fundamentalanalyse?
Der von mir angeführte Effekt ist die logische Folge aktiver Anlagestrategien. Wenn viele Anleger aktiv anlegen und Aktien gut geführter Firmen kaufen und solche schlecht geführter Firmen verkaufen, steigen die Aktienkurse der gut geführten und sinken die Kurse der schlecht geführten Firmen. Dieser Prozess geht solange weiter, bis die risikobereinigten Realrenditen der Aktien von gut und schlecht geführten Firmen gleich sind. Wegen der grossen Aktivitätsvolumina kommen die Finanzmärkte schnell in dieses Gleichgewicht, in dem es nicht mehr darauf ankommt, was man tut. Aber natürlich muss man nicht meinen, die Märkte seien völlig effizient im Sinne von rational oder richtig. Oft sind sie erratisch und verrückt. Nur leider lassen sich auch diese Marktunvollkommenheiten nicht prognostizieren.
Sie machen sich neben dem passiven Investieren für ein lustvolles Investieren mit zusätzlichen «psychischen Erträgen» stark. Was ist der Unterschied zu einem wilden Spekulieren oder anything goes?
Man muss seine persönlichen Freuden wenn möglich ausleben. Wenn man hingegen einen Massengeschmack auslebt, besteht das Problem, dass die Massennachfrage zu hohen Aktienkursen und damit zu tiefen Dividendenrenditen führt.
Lust gilt gemeinhin als Gegenspielerin der Vernunft. Bleibt die Vernunft gemäss Ihrer Anlagephilosophie nach dem Lustprinzip gänzlich aussen vor? Oder gilt es weiterhin, spezifische rationale Regeln zu beachten?
Natürlich gibt es weiterhin wichtige Regeln. Zum Beispiel muss man weiterhin – oder besser: erst recht – auf gute Risikodiversifizierung setzen. Zudem sollte man nur auf Börsen kaufen, weil nur dort die Markteffizienz die einzelnen Anleger schützt. Und man sollte einmal gekaufte Aktien nicht schnell wieder verkaufen – wegen der Transaktionskosten.
Macht das lustvolle Investieren Vermögensverwalter und Anlageberater überflüssig?
Nein, keineswegs. Wer aus Lust einzelne Aktien übergewichtet, muss dann erst recht sein Portfolio klug diversifizieren. Zudem braucht gerade das lustvolle Anlageverhalten grosse Produktkenntnisse. Man muss wissen, welche Finanzprodukte welche Eigenschaften haben.
Wie investieren Sie zurzeit persönlich? Würden Sie konkrete Anlageklassen oder Märkte empfehlen?
Vorsicht! Man soll ja das tun, was einem selber Spass macht. Das kann einem aber kein Berater sagen.
27. Juni 2012